Genossenschaften verbinden einige mit einer Unternehmensform alternativ zur AG oder GmbH – andere mit mietgünstigem Wohnen. Sven aus BETTERHOMES Town hat sich einmal schlau gemacht über diese Genossenschaften, die zwar in vielen Ländern präsent, in der Schweiz aber irgendwie eine besondere Tradition zu geniessen scheinen. Was sind Genossenschaften genau? Wie funktionieren sie und vor allem: Warum haben sie ein verstaubtes Image?
Die Unternehmensform «Genossenschaft»

Wer heute eine Firma gründet, entscheidet sich oft für eine AG oder für eine GmbH. Es gibt jedoch noch weitere juristische Personen im schweizerischen Gesellschaftsrecht – zum Beispiel die Genossenschaft. Einige grosse Firmen der Schweiz sind nach dieser Unternehmensform organisiert, z.B. die Migros, die Coop-Gruppe, die Versicherungsgesellschaft Mobiliar, die Raiffeisen-Bank oder der Agrarriese Fenaco.
Doch – warum hat die Genossenschaft ein so verstaubtes Image und warum gehen die Neugründungen von Genossenschaften kontinuierlich zurück? Im Kanton Zürich zum Beispiel liegen sie nämlich seit Jahren im niedrigen zweistelligen Bereich.
Vor- und Nachteile einer Genossenschaft
Ähnlich wie bei den Wohnbaugenossenschaften steht auch hier nicht das Gewinnstreben im Vordergrund, sondern die «Hilfe zur Selbsthilfe». (NZZ, Müller und das Geld, Juli 2018) Dazu gehören «innere» Unternehmenswerte wie direkte Demokratie und ein klar definiertes Mitbestimmungsrecht. Zusammengefasst also steht die direkte Bedürfnisbefriedigung der Mitglieder im Fokus.
Ein Vorteil der Genossenschaften ist, dass die Hierarchiestufen transparent sind, was z.B. Lohnexzesse zu vermeiden hilft. Zudem wird durch das Prinzip «one man, one vote» verhindert, dass man in Abhängigkeit von Konkurrenzunternehmen gerät. Denn: Im Gegensatz zu einer AG, bei der man sich durch den Aufkauf von Aktien ein Mitbestimmungsrecht erkaufen kann, bleibt es bei einer Genossenschaft unabhängig von der Anzahl Anteilscheine immer «eine Stimme pro Kopf».
Nachteile gibt es jedoch zum Beispiel in punkto Zugang zum Kapitalmarkt: Dieser wird wegen des fehlenden festen Grundkapitals erschwert, weshalb sich Genossenschaften auf diesem Weg kein Eigenkapital beschaffen können. Zudem werden Prozesse durch das breit abgestützte Mitspracherecht verlangsamt. Auch die komplizierten demokratischen Strukturen und die Mindestzahl von sieben Gründungsmitgliedern scheinen Hinderungsgründe für eine Gründung zu sein.
Die Genossenschaftsriesen unter der Lupe
In den Grossgenossenschaften hat sich im Laufe der Jahre Einiges verändert: Die Gewichtung des Managements hat gegenüber den Mitgliedern zugenommen. Dies hat einen einfachen Grund: In einem wachsenden Unternehmen eine partizipative Führung (Einbezug der Unterstellten in die Führungsentscheidungen) zu halten, ist in einem schnelllebigen und sich stets verändernden Markt selten möglich. Damit gleicht so manche Grossgenossenschaft eher einer indirekten als einer direkten Demokratie, da sich die unmittelbare Mitsprache der einzelnen Genossenschafter/innen nämlich oft auf einen sehr kleinen Bereich beschränkt.
Die Coop-Gruppe wurde vor mehr als hundert Jahren als Selbsthilfeorganisation gegründet, um die Lebensmittelbeschaffung für ärmere Bevölkerungsschichten zu vereinfachen. Die Migros war ursprünglich sogar eine AG, die erst bei der Nachfolgeregelung von Gottlieb Duttweiler eine Genossenschaft wurde. Trotz grosser Veränderungen ist der Genossenschaftsgedanke immer noch präsent: In einer ihrer aktuellen Kampagnen «Die Migros gehört den Leuten» verweist die Migros zum Beispiel auf ihre genossenschaftliche Struktur. Als genossenschaftlich verankertes Unternehmen lässt auch die Mobiliar ihre Kundinnen und Kunden am Erfolg teilhaben: Sie erhalten Auszahlungen aus dem Überschussfonds und werden so am guten Geschäftsgang beteiligt. Zwar können nicht mehr alle Demokratie-Elemente in den Grossgenossenschaften in voller Ausprägung garantiert werden, sie verfolgen aber dennoch auf das Gemeinwohl ausgerichtete Ziele: Die Migros engagiert sich mit dem Kulturprozent und die Coop-Gruppe durch das vielfältige Nachhaltigkeitsengagement und im sozialen Bereich.
Genossenschaften stehen immer wieder in der Kritik, so zum Beispiel die oben genannten Grossverteiler: Da sie die Konkurrenz meiden, sollen sie Mitschuld an der Hochpreisinsel Schweiz tragen. Da sie – ihrer Organisationsform geschuldet – ihren Gewinn nicht an Aktionäre ausschütten können, wird ihnen vorgeworfen, dass sie planlos Firmen kaufen und dadurch übermässig wachsen.
Wohnbaugenossenschaften der Schweiz
Genossenschaftliches Wohnen heisst Wohnen in einem kollektiven Eigentum. Damit verbunden werden oftmals ein aktives Nachbarschaftsleben und insbesondere günstige Mieten. Die grosse Vielfalt an verschiedenen Genossenschaften im Bereich des Wohnens unterscheiden sich unter anderem im Zielpublikum, dem Weg ihrer Zweckerfüllung und in ihren Werten.
Wo sie zu finden sind

Laut Wohnbaugenossenschaften Schweiz gibt es ca. 2’000 Wohnbaugenossenschaften in der Schweiz. Im Kanton Zürich finden sich fast 40% aller Genossenschaftswohnungen, darauf folgen Bern (10%) und Luzern (8%). Die meisten Wohnungen pro tausend Einwohner/innen gibt es jedoch im Kanton Basel-Stadt mit rund 58 Wohnungen/1000 Personen. Laut der Studie «Gemeinnütziges Wohnen im Fokus» (2017) sind gut 4% der Wohnungen in der Schweiz gemeinnützig organisiert. Dabei sind sie sehr ungleich im Raum verteilt; in städtischen Gebieten sind sie zehnmal mehr vertreten als im ländlichen Raum.
Wie man Mitglied einer Genossenschaft wird und was es mit sich bringt
Jede/r kann sich für eine Genossenschaftswohnung bewerben (mit wenigen Ausnahmen, z.B. Bundesgenossenschaften). Gemeinnützige Genossenschaften stellen zahlbaren Wohnraum gern jenen zur Verfügung, die darauf angewiesen sind. Es ist jedoch nicht einfach, in eine Genossenschaft aufgenommen zu werden. Die Wartelisten sind lang – gerade in Stadtzentren – falls es denn überhaupt noch Wartelisten gibt; oftmals wurden diese bereits abgeschafft.

In der Regel beteiligt sich jedes Mitglied einer Genossenschaft mit Anteilkapital, das je nach Art der Genossenschaft höher oder tiefer ausfallen kann. Oftmals sind dabei Anteilscheine von Wohnungen in Neubauten deutlich teurer als jene von bestehenden älteren Wohnungen, da diese noch nicht über genügend Rückstellungen verfügen. Gerade in städtischen Gebieten, in denen das Mietpreisniveau auf dem freien Markt hoch ist, sind die Mieten in Genossenschaften im Vergleich dazu tief und liegen 24% unter dem «normalen» Mietpreisniveau. Besonders auffällig sind die Unterschiede natürlich dort, wo es die Wohnlage den kommerziellen Anbietern ermöglicht, höhere Mieten zu verlangen. (Gemeinnütziges Wohnen im Fokus)
Mit dem Eigenkapitalanteil zusammen erwirbt das Mitglied zusätzlich zum Recht, eine Wohnung zu mieten, auch ein Mitspracherecht. In der Entscheidungsfindung in Genossenschaften ist nicht die Höhe des eingebrachten Kapitals, sondern allein die Stimme pro Person ausschlaggebend. Die Mietglieder können sich auch an Generalversammlungen mit ihren Ideen und Vorschlägen in die Gemeinschaft einbringen und sie so aktiv mitgestalten.
So finanzieren sich Genossenschaften und darum sind sie so günstig
Die Anteilscheine bilden zusammen den Grundstock des Eigenkapitals einer Genossenschaft. Die Fremdfinanzierung wird über Hypotheken vorgenommen, die Kosten inkl. Rückstellungen und Amortisation werden dabei mit den Mieten der Bewohnerinnen und Bewohnern gedeckt. Genossenschaften verfolgen in der Regel das Ziel, ihren Mitgliedern möglichst günstigen Wohnraum zu verschaffen, weshalb die Mieten wirklich nur so hoch wie nötig sind. Dies bezeichnet man als Kostenmiete.
Hierbei ist noch anzumerken, dass Genossenschaftswohnungen im Durchschnitt kleiner sind als Mietwohnungen oder Eigentumswohnungen. Dies zeigt die untenstehende Grafik klar auf:

Gemeinnützige Genossenschaften unterscheiden sich von normalen Genossenschaften: Diese können sich nämlich um staatliche Förderung bewerben (vergünstigte Darlehen, Landverkäufe, Land im Baurecht zu vergünstigten Konditionen). (NZZ Juli 2018)
Genau hier setzen Kritikerinnen und Kritiker an: Sie bemängeln, dass Genossenschaften nur darum günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen können, weil dieser durch die öffentliche Hand subventioniert werde. Laut den Genossenschaften läuft dies jedoch anders: Die tiefen Mieten hätten wenig bis gar nichts mit staatlicher Unterstützung zu tun, dafür umso mehr mit der Tatsache, dass im genossenschaftlichen Modell niemand Gewinn aus der Liegenschaft ziehe. An diesem Punkt kann man wohl zwischen gemeinnützigen Genossenschaften und «normalen» Genossenschaften unterscheiden.
Sind «Genossenschaften» also Schnee von gestern?
Nicht unbedingt, es kommt auf die Zielsetzung eines Unternehmens oder der Organisation an. Wohnbaugenossenschaften oder das Car-Sharing-Modell Mobility sind Musterbeispiele hierfür. Die Standorte der Mobility-Autos befinden sich in unmittelbarer Nähe der Kundinnen und Kunden, und zwar deshalb, weil es die Genossenschafter/innen selbst sind, die diese ausfindig machen. Es liegt natürlich in ihrem Interesse, Abstellplätze an für sie günstiger Lage zu haben. So verschaffen sie der Firma einen Vorteil, der für einen privaten Anbieter nicht realisierbar wäre. Und genau das ist der springende Punkt: Im Vordergrund steht hierbei nicht die Gewinnerzielung, sondern die Sachleistung.
Wenn es also darum geht, ein gewinnorientiertes Geschäft zu führen, scheint die Form einer AG oder einer GmbH besser geeignet zu schein. Steht jedoch ein partizipatives Element im Vordergrund, so lohnt es sich, auf die Unternehmensform «Genossenschaft» zu setzen.
Mehr zum Immobilienmarkt Schweiz gefällig? Hier geht’s zum Artikel.
Disclaimer: Dies stellt keine Unternehmensberatung dar.
Bilder: © BETTERHOMES AG